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Musik & Tanz

“Musik ist ein Fenster zur Kultur”

Das "Ladies on Records" Projekt

Ob Nur Azak oder Zerrin Zeren, diese Platten finden sich mit Sicherheit in ihrer Sammlung. Kornelia, geboren in Krakau, Polen, rief Ladies on Records ins Leben. Das Projekt ist ihre persönliche Reise durch Musik und Kultur. Die Türkei ist ihr erstes Ziel, weitere sollen folgen. Die Djane und Plattensammlerin arbeitete in Polen als Anthropologin, organisierte das Jüdische Kulturfestival in Krakau und veranstaltete ein Festival für Dokumentarfilme über Musik. Seit sie denken kann, hat sie Musik erforscht, weswegen sie sich entschied ihren Fokus darauf zu legen und nach Istanbul zu ziehen, um in die Welt der türkischen Musik von Frauen der Sechziger und Siebziger einzutauchen.

 

Wieso begann deine Musikreise in der Türkei? Wann kamst du das erste Mal mit türkischer Musik in Kontakt?
Viele Jahre war türkischer psychedelischer Rock der Sechziger und Siebziger wie Magie für mich. Er brachte alles mit sich, wonach ich in Musik gesucht habe, denn er kombiniert Modernität und Tradition, Respekt für die alte Kultur sowie Hunger nach Neuem. Ich habe die Giganten der türkischen Musik geliebt, die uns Pioniere wie Finders Keepers oder Pharaway Sounds, Barış Manço oder Erkin Koray näher gebracht haben. Als ich zum ersten Mal Barış Manço hörte, fesselte mich die Art wie seine Musik türkische und westliche musikalische Muster vereint und wie er einem polnischen Sänger der Siebziger ähnelte, Stan Borys.

Warum hast du dir Musik von Frauen aus den Sechzigern und Siebzigern ausgesucht?
Die Welt befand sich in den Sechzigern und Siebzigern im Wandel – im politischen, sozialen und kulturellen Sinne. Die Veränderung wurde in der Kunst, Popkultur, Film- und Musikindustrie sichtbar. Überall in der Welt kämpften Frauen für ihre Rechte. Sie bekamen endlich die Chance, die Rolle der Ehefrau und Mutter hinter sich zu lassen. Außerdem nahmen sie ihre Sexualität neu wahr, wurden aber auch objektiviert und manchmal zum Subjekt des übermächtigen männlichen Blicks. Die Musik dieser Zeit reflektiert all das: Die Suche nach Freiheit, Ängste, klassische Rollenbilder, die Dramen und Probleme der Frau.

Neben dem sozialen Kontext ist die Musik von damals auch extrem universell. Die Kombination von lokaler und westlicher Musik schafft es Musik aus anderen Orten der Welt zu vernetzen. Ich habe schon immer Musik von weiblichen Musikern aus verschiedenen Ländern gesucht und gesammelt: Polen, Osteuropa, Länder des Mittleren Ostens, Europas und Asiens. Frauen im vor-revolutionären Iran haben besonders meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Von dort war es nur ein kleiner Schritt zur Erforschung der türkischen Musik. Als erstes lernte ich Selda kennen und war fasziniert. Ich habe sie als Person und auch ihre Musik fast mythologisiert, ihre Stimme, Texte und den politischen Hintergrund. Als ich auf Kamuran Akkor stieß, fiel mir der Unterschied zwischen den beiden auf und ich verstand, dass es noch Vieles zu entdecken gab.

Was versuchst du deinen Hörern zu vermitteln, indem du diese Musik sammelst und spielst?
Musik ist ein Fenster zur Kultur. Man kann tief in die Ästhetik eintauchen aber man kann auch einiges dahinter entdecken. Es steht einem offen, durch das Fenster zu schauen und es zu öffnen, um die Geschichten dahinter zu finden. Die Recherche zu Musik von Frauen fängt für mich immer mit der Faszination für Stimme und Melodie an. Aber mein anthropologischer Ansatz leitet mich immer zu den kulturellen Mustern. Als ich zum ersten Mal Esmeray hörte, eine türkische Sängerin aus den Siebzigern, hat mich ihre tiefe Stimme gefesselt und ich fühlte zugleich, dass es dahinter etwas zu entdecken gab. Sie hatte einen anderen Klang als die meisten Sängerinnen von damals. Ich habe ihre Schritte zurück verfolgt und die wunderbare Geschichte einer dunkelhäutigen türkischen Frau entdeckt. Dann habe ich sie in ein Mixtape mit anderen Künstlerinnen dieser Zeit gepackt und über sie für Abu Dabi’s Magazin The National geschrieben, wodurch ich eine ganz andere Sichtweise auf sie erlangt habe. Ich versuche immer, türkische Künstlerinnen mit anderen Künstlerinnen aus der Zeit zu verbinden und ihren sowohl einzigartigen also auch universellen Wert aufzuzeigen. Die Musik gibt mir so die Möglichkeit über universelle Probleme zu sprechen.

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Wie kannst du türkische Musik besser erleben und verstehen, indem du vor Ort lebst?
Es war die beste Entscheidung nach Istanbul zu gehen, um in die Musik einzutauchen. Man kann natürlich Musik im Internet finden – die Welt hat sich dank des Netzes geöffnet. Aber trotzdem kann man nicht so tief eintauchen während man zuhause im Sessel sitzt. Seit ich hier hergekommen bin, habe ich angefangen die heutige Kultur zu verstehen, wodurch ich ein besseres Verständnis der Vergangenheit gewinnen konnte. Ich verbringe viel Zeit in verstaubten Plattenläden, rede mit Leuten, treffe Künstlerinnen wie Selda Bağcan und Angehörige meiner geliebten Künstlerinnen wie zum Beispiel den Sohn von Esmeray, und ich spiele diese Musik für ein türkisches und internationales Publikum in den Clubs Istanbuls. Dadurch kann ich meine eigenen Gedanken und Interessen teilen und bekomme Feedback, was das beste daran ist.

In welchem Maße ist dein Projekt soziale Recherche? Was findest du über die Gesellschaft heraus?
Die Türkei ist kein Land, in dem alles auf den ersten Blick offensichtlich ist. Sie ist europäisch und asiatisch, modern und traditionell, offen und radikal zugleich. Die Schönheit des Landes basiert auf seiner Diversität und den verschiedenen Einflüssen. Diese Vielfalt geht durch politische oder ideologische Entscheidungen verloren. Ich glaube, dass die türkische Gesellschaft sich darüber bewusst sein sollte, welche Diversität sie mit sich bringt, und dass diese wertzuschätzen ist. Eine freie und offen denkende Gesellschaft kann nur wertschätzen, wie sie ist, wenn sie akzeptiert, wie sie mal war. Und das in Bezug auf alle guten wie auch schlechten Aspekte.

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Wie reagieren die Menschen in der Türkei auf dich und deine Arbeit?
Ich kriege sehr viel Feedback, wertschätzende Worte und Unterstützung. Anfangs haben die Leute meine Arbeit als etwas verrückt wahrgenommen. Ich wurde behandelt, als wäre ich bloß noch eine weitere Person aus dem Ausland, der sich für türkische psychedelische Musik interessiert. Aber ich hab das Gefühl, dass sich das durch meine Recherche und Wertschätzung der türkischen Musik geändert hat. Die Leute fangen an ihr eigenes Erbe aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Sie graben dann selbst mehr in der Vergangenheit, stellen Fragen und suchen tiefer nach Antworten.

 

Credits
Interview: Regina Wiebe
Fotos: Mehmet Sallak, Andrzej Pilichowski, Maciej Moruś

 

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