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Gesellschaft & Geschichten

Die Handkuss-Tradition

Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern, ob mir jemals erklärt worden ist, warum ich zu bestimmten Anlässen die Hand von älteren Verwandten küssen musste. Ich habe als kleines Kind nie darüber nachgedacht. Mir war einfach klar: an den Festtagen gibt es Geld oder Süßigkeiten für einen Handkuss. Wenn wir Verwandte zu Ramadan- oder dem Opferfest besuchten, freute ich mich zwar auf die Belohnung nach dem Handkuss, aber irgendwie widerte es mich an, die schrumpeligen Hände der älteren Menschen mit meinen Lippen zu berühren. Erst nach einer ganzen Weile, in der ich vergeblich versuchte, mich vor dem Handkuss zu drücken, bekam ich von meiner älteren Schwester den Tipp, die Hand nicht zu küssen, sondern sie einfach mit dem Kinn zu berühren. Das war die Erlösung für mich. Trotzdem habe ich mich schon oft gefragt, woher dieser Brauch des Händeküssens kommt.

„Sevgi, Saygı, Sadakat“

„Sevgi, Saygı, Sadakat“ (dt. Liebe, Respekt, Treue) sind die Stichworte für eine Erklärung, weshalb der Handkuss vollzogen wird. Der Küssende drückt damit seine Liebe, seinen Respekt und seine Treue gegenüber der älteren Person aus. Diese Tugenden werden durch die Gestik des Bückens, das Antworten erst nachdem man gefragt wird und das ruhige Verhalten des Küssenden unterstrichen.

Wer küsst wessen Hand?

Kinder, Jugendliche und Erwachsene erweisen durch den Handkuss einer älteren Person gegenüber Respekt und zeigen ihre Liebe. Die älteren Personen können Eltern, Verwandte, Bekannte oder Lehrer sein. Der Handkuss erweist ihrem Alter und Beruf Achtung. Die Hand von jüngeren oder gleichaltrigen Personen wird nicht geküsst.

Wie wird die Hand geküsst?

Ein Zeichen dafür, dass eine ältere Person einen Handkuss erwartet, ist das Entgegenstrecken der rechten Hand. Die ehrerweisende Person nimmt sie in ihre rechte Hand und berührt mit den Lippen oder mit dem Kinn den Handrücken und legt sie anschließend kurz an die eigene Stirn.

Wann wird die Hand geküsst?

Die Handkuss-Tradition wird an religiösen Festtagen, zur Begrüßung oder zum Abschied bei besonderen Ereignissen, wie Hochzeiten, Verlobungen, Henna-Abenden oder Beschneidungsfeiern vollzogen.

Wo gibt es diese Tradition?

Den Handkuss gibt es in der Türkei, im Nahen Osten, in Kaukasien sowie auf dem Balkan bei bestimmten Ritualen oder Festivitäten.  Aber auch im Westen gibt es die Handkuss-Tradition. Beispielsweise wird bei den Katholiken der Ring an der rechten Hand des Papstes geküsst. Das frühere übliche Küssen der Frauenhand durch Männer ist mittlerweile leider verloren gegangen.

Woher kommt diese Tradition?

In den verschiedenen historischen Quellen wird der Handkuss mit dem Beginn des Islam im 7. Jhd. n. Chr.  in Verbindung gebracht. Einer Überlieferung zufolge hat Ali bin Ebu Tailip, der erste Kalif des Propheten Mohammeds, folgende Worte über den Handkuss gesagt:

„Babanın çocuğunun elini öpmesi şefkatten, çocuğun babasının elini öpmesi ibadetten, kocanın hanımının elini öpmesi arzudan, kişinin din kardeşinin elini öpmesi ise dindendir.“ – Zu Deutsch: „Der Vater küsst die Hand des Kindes aus Güte, das Kind küsst die Hand des Vaters aus Andacht, der Mann küsst die Hand seiner Frau aus Begierde, eine Person küsst die Hand einer anderen islamischen Person aus Glaube.“

Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass diese Tradition auf einen religiösen Brauch zurückgeht. Im frühen Islam wurden mit der Geste des Handkusses gewisse Hierarchien festgelegt, die bis heute andauern und denen laut der islamischen Lehre Folge geleistet werden sollte.

Wie wird der Handkuss heutzutage aufgenommen?

Der Handkuss ist nicht immer positiv konnotiert. Neben den ganzen Tugenden wird durch den Handkuss auch eine gewisse Untergebenheit geäußert. Beispielsweise sagt man:

„El öperek geldi bu mevkilere.“ – „Durch Handküsse ist er aufgestiegen.“

Diese Redewendung hat zwei Bedeutungen: Zum einen kann damit verkündet werden, dass eine Person durch ihre Treue im Job aufgestiegen ist, zum anderen kann ihr unterstellt werden, dass sie nur durch Schleimerei zu diesem Posten gekommen ist.

In einer anderen Redewendung hingegen wird der Handkuss gesegnet. Dem jungen Küssenden wird ein langes Leben gewünscht: Auf dass ihm ebenfalls viele Menschen Respekt erweisen.

„El öpenlerin çok olsun.“ – „Mögest du auch viele Handküsser haben.“

Verschwindet die Handkuss-Tradition?

Seit einiger Zeit ist mir aufgefallen, dass viele meiner weiblichen Bekannten über vierzig dieser Tradition bewusst aus dem Weg gehen. Sie strecken ihre Hand nicht mehr aus, ein Händeschütteln reicht für sie völlig aus. Liegt es daran, dass sie das Älterwerden nicht annehmen möchten?

Das kann sein. Denn sobald einem die Hand geküsst wird, steckt man in der Schublade der Älteren. Man hat die Seiten gewechselt.

Ich muss gestehen, ich fand es am letzten Ramadan-Fest auch nicht besonders toll, als ein kleiner Knirps meine Hand küssen wollte. Ich denke, in zwanzig Jahren bin ich bereit, dieser Tradition von der älteren Seite aus zu begegnen. Noch genieße ich es aber, auf der jüngeren Seite zu sein. Ich bekomme zwar kein Geld mehr, aber auf die türkischen Süßspeisen wie Baklava, Revani oder Irmik-Tatlısı freue ich mich jedes Mal.

Illustration: shutterstock.com
(Urheber: Creative Stall)

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