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Gesellschaft & Geschichten

Der Schachtürke, der Napoleon besiegte

Napoleon muss schwer gestaunt haben, als er der Puppe das erste Mal gegenüber trat. Furcht erregend, mit glänzendem Schnauzbart über dem verschmitzten Lächeln, rotem Umhang und einem Turban stand sie da wie ein Osmanen-Abbild vor einer Holzkiste, auf der das königliche Spiel angebracht war. Der Geist aus der Maschine starrte ins Leere, während sich sein ungelenkiger Arm zu den Geräuschen einer mysteriösen Mechanik eines knatternden Uhrwerks über das Schachbrett bewegte. Da das osmanische Reich zu jener Zeit in Europa geachtet aber auch gefürchtet war, verschaffte das Gewand der Puppe zusätzlich einen psychologischen Vorteil. 

Plötzlich packt die Hand im weißen Handschuh zu und kontert versiert das Königsbauernspiel Napoleons. Anschließend nickt der Türke dreimal; Der große Feldherr ist nach einigen Zügen schachmatt. Obwohl ihn Napoleon provozieren wollte und unerlaubte Züge spielte, ließ sich der Automat nicht beirren. Geduldig stellte der Automat die Figuren zunächst wieder auf ihre Ursprungsposition zurück. Nach mehreren Täuschungsmanövern Napoleons fegte der Schachtürke die Figuren vom Tisch nach dem Motto „Genug ist genug“. Stolz war der Automat also obendrein! „Dem großen Feldherren habe das imponiert“, erläutert Andreas Stolte, Sprecher des Heinz Nixdorf Computermuseums, in dem ein nahezu exakter Nachbau der Schach-Maschine ausgestellt ist.

Nicht nur er, auch der Preußenkönig Friedrich der Große, der heute in Berlin mit seinem Reiterdenkmal im Stadtbild verewigt ist, sowie zahlreiche Gelehrte und Schriftsteller wie Edgar Allan Poe waren seinerzeit verblüfft über das technische Meisterwerk. Das Schachspiel erlebte insbesondere in England und Frankreich des 18. Jahrhunderts seine Renaissance und war in gehobenen Gesellschaftskreisen sehr angesagt. Der Schachtürke schlug fast jeden Gegner mit nahezu elegantem Spielverständnis und einem Gespür für raffinierte Züge. Schon bald kamen Gerüchte auf, dass ein Mensch im Inneren der Holzkiste säße. Der Erfinder der Schachmaschine Wolfgang vom Kempelen (1934–1804) konnte dies jedoch wiederlegen, indem er jedem Skeptiker den Innenraum der Holzkiste offenlegte. Ein Gewirr aus Zahnrädern und technischen Instrumenten tickte vor sich hin und bestätigte die mechanische Raffinesse des vermeintlich ersten Schachcomputers der Welt. Und so rätselten um das Geheimnis des ersten Schachautomaten der Welt noch mehrere Folgegenerationen.

Tatsächlich verbarg der knapp anderthalb Meter breite Nussbaumholzkasten jedoch einen Menschen. Es waren ausgezeichnete kleinwüchsige Schachspieler, die dank einer Trennwand zwischen linker und rechter Hälfte im Unterbau des Kastens hin und her rutschen konnten, um sich so vor neugierigen Blicken der Zuschauer zu schützen. „Im Inneren gibt es ein ausklappbares zweites Schachbrett“, erläutert der Museumssprecher. Mit Hilfe ausgeklügelter Mechanik übertrug ein sogenannter Pantograph per Hebelmechanik jeden Zug, den der versteckte Spieler auf dem kleinen Schachfeld machte, auf das eigentliche Spielfeld. Die Züge des Gegners sah er anhand magnetischer Stifte unter dem Spielfeld. Wie von Geisterhand führte die osmanische Puppe anschließend jeden Zug aus. Bis zum Tode des Erfinders des Schachautomaten gelang es niemandem, das Geheimnis des „Schachtürken“ zu lüften. Aus einem Artikel des Journal des sçavans aus dem Jahre 1783 geht hervor, dass bereits damals mehrere Wissenschaftler erfolglos versuchten, die Funktionsweise der Maschine zu erklären. Erst im Laufe seiner Wiederentdeckung ab dem Jahre 1825 nahm das Rätsel um die vermeintliche Wundermaschine sein jähes Ende. Auf einem Jahrmarkt rief ein Beobachter aus dem Publikum absichtlich „Feuer, Feuer“, so dass der versteckte Schachspieler panisch die Holzkiste verließ.

Heute hat der Schachautomat seinen festen Platz in der Schachliteratur und -geschichte mit diversen Nachbauten in technischen Museen. Zudem hat sich daraus im deutschen Sprachgebrauch die Redewendung „etwas türken“ etabliert, was so viel bedeutet wie etwas „fingieren“ oder „fälschen“. Gegen den ersten wirklichen Schachcomputer von IBM, den Deep Blue, gewann 1996 der damalige Schachweltmeister Kasparow gleich das erste Match. Ob ihm das gegen den Schachtürken auch gelungen wäre? 

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Credits
Text: Hakan Dağıstanlı

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