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Gesellschaft & Geschichten

Füreinander kämpfen, voneinander lernen

Frauenbewegungen in der Türkei

Wenn sich eine Frau aus Ankara und eine Frau aus Muğla für ihre Rechte einsetzen, haben sie ganz unterschiedliche Vorstellungen davon, was das heißt. Sie haben vielfältige Erfahrungen gemacht und unterscheiden sich deswegen in vielerlei Hinsicht. Charlotte Binder und Aslı Polatdemir haben es sich zur Aufgabe gemacht, zu erforschen, ob und inwieweit diese Frauenbewegungen trotz ihrer Unterschiede zusammenarbeiten können.

Worum geht es in eurer Forschung?
Charlotte: Unsere Recherchen zeigen, dass es vielfältige Frauenbewegungen in der Türkei gibt. Sie sind so unterschiedlich orientiert, dass man nicht von einer einzigen Frauenbewegung sprechen kann. Schon allein die regionalen Unterschiede sind bedeutend: In Ankara leben fünf Millionen Menschen, in Muğla 60.000. Wir möchten schauen, bei welchen Themen und mit welchen Aktionsformen es trotzdem möglich ist, Bündnisse einzugehen: Wo sind die Gemeinsamkeiten dieser Bewegungen? Wo die Unterschiede?

Und was sind die gemeinsamen Themen der verschiedenen Frauenbewegungen?
Aslı: Wir sind noch mitten in unserer Forschung, deswegen können wir darüber noch keine endgültige Aussage treffen. Aber natürlich haben sich schon ein paar Punkte herauskristallisiert. Der erste davon ist Gewalt gegen Frauen. Dann die politische Partizipation und die Beschäftigung der Frau. Nur 23% aller arbeitsfähigen Frauen in der Türkei sind legal beschäftigt. Zum Vergleich: In Deutschland sind es 68%.

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Und wo sind die Unterschiede?
Aslı: Eigentlich möchten wir den Fokus eher auf das Gemeinsame als auf das Trennende legen. Aber man kann sagen: Die Unterschiede fangen bei der Muttersprache an, gehen über die Bildung bis hin zum Kopftuch.

Charlotte: Eine unserer Thesen ist es, dass die Bündnismöglichkeiten eingeschränkt sein könnten, weil die Frauen ganz unterschiedliche Konzepte von Geschlecht, Feminismus, und Frauenbewegung haben. Das hat natürlich mit ihren unterschiedlichen Hintergründen zu tun.

fem_renk02Was ist euch selbst an eurem Thema wichtig?
Aslı: Für mich ist das Thema wichtig, weil ich eine Frau bin, die sich als Feministin bezeichnet und die aus der Türkei kommt. Das ist sozusagen die erste individuelle Ebene. Die zweite individuelle Ebene ist, dass ich in Deutschland lebe und als eine Frau, die aus der Türkei kommt, die ganze Zeit passiv in Schubladen gesteckt werde. Durch dieses Forschungsthema kann auch ich persönlich zeigen: Die Frauen aus der Türkei sind nicht alle gleich! Es gibt Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede.

Charlotte: Mir ist die Organisationsstärke der feministischen Bewegung in der Türkei wichtig. Es gibt ganz viel von dort zu lernen. Außerdem lege ich Wert auf den Austausch und die Vernetzung unterschiedlicher Personen. Denn ich denke, dass man auch über nationale und vermeintliche Kulturgrenzen hinweig gemeinsam kämpfen muss, um Geschlechtergerechtigkeit weltweit zu erreichen. Und die Aktivist*innen in der Türkei sind unglaublich gut vernetzt und gehen toll mit der eigenen Diversität um. Zum Beispiel organisiert eine Frauenrechtsorganisation türkeiweite Treffen, bei denen sich unterschiedliche Frauen begegnen sollen, um auszuloten, wie sie trotz all ihrer Differenzen miteinander aktiv werden können. Und das, ohne die eigenen Differenzen zu verleugnen.

Wie weit seid ihr mit eurer Forschung?
Charlotte: Die Feldarbeit ist schon vorbei, jetzt werten wir die gesammelten Daten aus. Da sind wir aber noch relativ am Anfang. 2014 und 2015 waren Aslı und ich gemeinsam in Ankara, in Diyarbakır, an der ägäischen Küste, im Süden der Türkei und an der östlichen Schwarzmeerküste. Wir sind dort bei Demonstrationen mitgelaufen, waren bei Versammlungen, bei Bündnistreffen, haben die Büros von Frauen-NGOs besucht – wenn es so etwas gab – waren bei Filmabenden und so weiter. Wann immer es möglich war, waren wir dabei und haben unsere Beobachtungen protokolliert und dokumentiert. Außerdem haben wir 65 Interviews mit möglichst unterschiedlichen Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen geführt.

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Gab es Momente bei eurer Feldforschung, die euch besonders in Erinnerung geblieben sind?
Aslı: Ich erinnere mich noch genau daran, wie wir 2014 in der Cerattepe-Region von Artvin an der georgischen Grenze waren. Die Region ist sehr bekannt für ihre Naturschönheit, dort gibt es alte Wälder, Nationalparks, viele Pflanzen- und Tierarten. Und ausgerechnet dort soll eine Miene zum Kupfer- und Goldabbau errichtet werden. Die würde diese besondere Natur vollkommen zerstören. Letzten Sommer waren wir also dort und die Artvin-Frauenplattform hat uns zu einer Demonstration mitgenommen. Die Frauen haben eine Art Wache gehalten, um diesen Ort zu beschützen. Damit die Maschinen dort nicht hinkommen. Und während dieser Wache haben wir Interviews mit den Frauen führen können.

Charlotte: Was mich sehr überrascht hat war die Offenheit der Aktivist*innen. Das hatte ich aber auch schon in Istanbul gemerkt: Sie haben uns immer geholfen, uns mitgenommen und unsere Arbeit hat sie sehr interessiert.

Gab es auch andere Reaktionen?
Charlotte: Ja, einige sind uns kritischer gegenüber getreten. Eine Aktivistin hat uns erzählt, dass sie so viele Interviews gibt, aber sie und ihre Organisation nie etwas zurückbekommen. Die Ergebnisse der Forschung werden nie zurückgemeldet. Da kommen immer wieder Menschen aus dem Westen, die zu dem Thema Frauenbewegungen forschen und diese Daten dann für ihre wissenschaftliche Karriere in westlichen Ländern benutzen. Ein Austausch findet nicht mehr statt. Deswegen war für uns von Anfang an klar, dass wir unseren Projektbericht öffentlich zugänglich machen wollen. Und dass er viersprachig veröffentlicht wird, also Deutsch, Englisch, Türkisch und Kurdisch. Damit es keine Barrieren gibt, wenn wir ihn den Interviewten zuschicken.

Außerdem werden wir im Oktober 2016 einen Workshop an der Universität Bremen veranstalten, zu dem wir Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen aus Deutschland und der Türkei einladen wollen. Mit ihnen gemeinsam werden wir unsere Forschungsergebnisse präsentieren und diskutieren. Außerdem wollen wir einen Raum zur Vernetzung zwischen den Aktivist*innen und Wissenschaftler*innen beider Länder schaffen. Wir hoffen, dass wir so ein bisschen von dem zurückgeben können, was wir bekommen haben.

Das Forschungsteam, von links: Sevgi Ucan-Cubukcu, Charlotte Binder, Münevver Azizoğlu-Bazan, Aslı Polatdemir, Yasemin Karakaşoğlu

Das Forschungsteam, von links: Sevgi Ucan-Cubukcu, Charlotte Binder, Münevver Azizoğlu-Bazan, Aslı Polatdemir, Yasemin Karakaşoğlu. Foto: Özgur Baykal

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Fotos: Charlotte Binder

 

 

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